29. April 2024

Die Anständigen und die Eier


Ein Nachklapp zur Antirechtsdemo und dem AfD-Bürgerdialog

Beitrag von Denise Klein

Mein Beitrag im letzten Newsletter hatte eine Resonanz wie selten ein Meinungsstück unseres Mediums. Empörung auf der einen Seite, lobende Worte auf der anderen. Und einige private Nachrichten von Menschen dieser Stadt, die engagiert die bürgerschaftliche Szene Gelsenkirchens prägen, sich aber mit ihrer Meinung nicht aus der Deckung trauen. Denn die Mitte der Gesellschaft lässt sich radikalisieren. Auf Geheiß von Regierung, Gewerkschaften oder Parteien.

Bunte Luftballons, viele Transparente, trommelnde Menschen, Karin Welge auf der Bühne. Nicht nur für sie – die wahrscheinlich in ihrer gesamten Bürgermeisterlaufbahn nicht vor so vielen Menschen, die ihr auch zuhörten, gesprochen hat -, sondern auch für die Demoteilnehmer wird dieser 27. Januar, als man sich auflehnte gegen die erstarkende Rechte, in wohliger Erinnerung bleiben. Verzeihen Sie mir meinen zynischen Zungenschlag, aber ich konnte diese Veranstaltung nur schwer aushalten. Wer war alles da?

Die Linksextremen und das Bildungsbürgertum, gemeinsam im Kampf gegen eine erstarkende Rechte. Dass die AfD, die in jedem Satz von der Bühne mitgemeint schien, stärker wird, zeigt sich in jeder Wahlprognose erneut. Und das macht nicht nur dem politischen Mitbewerber Bauchschmerzen. Bundesweit gehen hunderttausende Menschen auf die Straße. Für ein offenes Deutschland, gegen Ausgrenzung und gegen Massenabschiebungen. So der Impetus der Demoteilnehmer.

Menschen mit Migrationshintergrund waren vereinzelt auch da. Aber es waren nicht die Shishabarbesucher oder die, die auf der Ückendorfer Straße in ärmsten Verhältnissen leben. Es waren die, die selbst aus „guter“ Familie kommen, wo Karriere mit Bildung assoziiert ist. Es ist begrüßenswert, wenn Bürger von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen, wenn sie sich sorgen, dass massenweise und kategorisch Migranten aus dem Land gefegt werden. Aber droht dies wirklich, wenn die AfD in die Regierung kommt? Ich glaube nicht. Denn im Bundeskanzleramt herrschen andere Regeln und Sachzwänge als auf der Oppositionsbank. Die Frage, die sich stellt: wo sind all diese Leute, wenn sich die soziale Frage um Jobs, Wohnraum und Kitaplätze dreht? Wenn diese Ressourcen – immerhin sind wir auf mittlerweile 83 Millionen in diesem Land angewachsen – nicht mehr ausreichen? Hat nun der Artikel „Geheimplan Remigration“ von Correctiv das Volk aus dem Dornröschenschlaf geweckt? Oder ist er eher ein Husarenstück linker Journalisten, die gegen die AfD schreiben?

Die unschöne Frage, wie der Correctivartikel zustande gekommen ist, in welcher Sprache er daherkommt und woher dieses Medium sein Geld bezieht, ist unappetitlich, muss aber gestellt werden. Dass sich Journalisten offenbar einem politischen Auftrag verpflichtet sehen, macht es dem Rezipienten enorm schwer, Medieninhalte einzuordnen. Muss ich erst die Finanzstrukturen von Correctiv recherchieren, um den Artikel einordnen zu können? Leider ja. Denn wenn sich das Recherchezentrum hälftig mit fast 1,8 Millionen Euro allein im Jahr 2023 von lobbyierenden Stiftungen u.a. der Essener Mercatorstiftung, der Luminategroup des amerikanischen Milliardärs und Ebay-Gründers Pierre Omidyar (661.018,53 €), der Bundeskasse (431.059,85 €) oder der Hauptkasse NRW (145.338 €) finanzieren lässt, wäre man mit dem Klammerbeutel gepudert, würde man Correctiv die treuherzig verlautbarte Unabhängigkeit auch nur ansatzweise abnehmen.

Doch warum befasse ich mich derart kleinteilig mit Correctiv? Weil sie das Fass ins Rollen gebracht haben. Haben Sie den Deportationsartikel gelesen? Wenn nicht, tun Sie dies bitte.

Offenbar haben dies nicht allzu viele der Demonstranten getan, oder die Medienkompetenztrainings haben keine Früchte getragen. Der Leser soll in eine bestimmte Denkrichtung geschubst werden. Alles kann sich genauso abgespielt haben, aber leider ist das keine große Nummer. Es wird hineingeheimnisst, vermutet, angedeutet. Die Illumination des Ganzen ist es, was des Lesers Intellekt beleidigt. Also ein Verschwörungstheoriestück erster Güte. Dass sich damit die Massen vom Sofa holen lassen, hat mich erstaunt.

Keine Ausgangssperre, keine monatelangen Schließungen von Schulen, keine Waffenlieferung in Krisengebiete, keine 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr und keine nonchalante Kriegsankündigung in „fünf bis acht Jahren“ durch Boris Pistorius hat des Mittebürgers Herz so in Rage versetzt wie diese Wannsee-Posse.

Hass und Hetze, ein Begriff, der mittlerweile auf alle abweichenden Einwände angewendet wird, findet im Umgang der bürgerlichen Gesellschaft mit der AfD oder den „Rechten“ eine selbstgefällige Rechtfertigung. Mit Rechten spricht man nicht. Gegen rechts darf, ja muss man sein. Sonst sei man kein Demokrat. Was macht das mit Menschen, die eine andere Sicht auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen haben?

Warum verbieten sich Lehrer im Kollegium das freie Wort? Warum trauen sich Menschen nicht mehr, im Büro die Migrationspolitik zu kritisieren? Weil es nicht opportun ist. Es kostet zu viel: die Reputation, die Freundschaft, vielleicht gar den nächsten Schritt auf der Karriereleiter. Können Sie sich nicht vorstellen? Vielleicht haben sie das noch nicht erlebt? Dann nennen wir es einfach Präventionsparadoxon. Stigmatisierung wirkt.

Wenn soziale und berufliche Kosten vor der Meinungsäußerung gecheckt werden, können wir im Jahr 2024 nicht mehr von einem offenen Diskursklima sprechen. Das haben an diesem 27. Januar die “Besucher des Bürgerdialogs” zu spüren bekommen. Wie im Zoo ließen die Veranstalter sie vor dem Hans-Sachs-Haus in der Schlange stehen, um keine fünf Meter weiter von aufrechten und anständigen Demonstranten als Nazis angebrüllt und auch mit Eiern beworfen zu werden. Die Polizei schritt ein, schrieb davon allerdings kein Wort in der Pressemitteilung ein paar Tage später. Ich musste konkret nachfragen.

Stellen Sie sich die Frage, was passiert wäre, hätten Rechte wartende Menschen mit Eiern beworfen? Die Veranstaltung der AfD war im Übrigen wie erwartet. Ich kenne die Reden und Positionen aus dem Bundestag. Und wie immer im Leben: einiges war vernünftig, einiges war zu populistisch, einiges war dümmlich. Also wie bei jeder Partei. Und ja, die geäußerten Großmachtphantasien einiger Funktionäre erschrecken auch mich. Aber sie werden eingehegt werden, wenn sie eben an jenen Sachzwängen scheitern. Und man mag es nicht glauben: Der Bürgerdialog stand jedem offen und wurde auch von einigen Kritikern zivilisiert genutzt. So sollte es sein.

Der Artikel über eine der vielen „Antirechts“-Demonstrationen der letzten Wochen stammt aus der „ISSO“, einem online-Stadtmagazin für Gelsenkirchen. Wir geben ihn weiter, weil er über den örtlichen Bezug hinaus einer der wenigen Beiträge ist, die sich kritisch mit den regierungsgeförderten „Antirechts“-Demonstrationen auseinandersetzen.

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