13. November 2024

Positionspapier zur demografischen Situation in Deutschland

Eine Weiterleitung vom Verband Familienarbeit

Ist der Geburtenrückgag politisch gewollt, erzwungen oder Folge des „Zeitgeists“?

Angesichts der dramatischen Veränderung der Altersstruktur in Deutschland ist zu fragen, warum es trotz der vorhersehbaren Probleme insbesondere in der Altersversorgung mit Renten, Pensionen und Pflege zu einem zunehmenden Mangel an Kindern in unserer Gesellschaft gekommen ist. Was spielt hier eine Rolle? Werden die Menschen im fortpflanzungsfähigen Alter immer unfruchtbarer oder unwilliger, Kinder in die Welt zu setzen? Spielen Umweltgifte in der Nahrung, im Wasser oder Klimaängste eine Rolle? Sind überlange akademisierte Ausbildungswege, Karrierewünsche, ein hedonistisches Leben ohne Kinder und Vereinbarungsstress ausschlaggebend für kinderlose Lebenslauf-Entscheidungen? Warum haben wir in Deutschland seit Jahrzehnten eine eklatant hohe Schwangerschafts-Abbruchrate von ca. 100 000 jährlich? Spielen Kinder überhaupt noch eine Rolle in den Lebensentwürfen junger Menschen? Oder werden ursprüngliche Kinderwünsche zu einem großen Teil nicht mehr realisiert, weil unsere Familienpolitik kontra-familienfördernd, ja familienzerstörend wirkt?

Zwei Zitate von Verfassungsrechtlern:

Die Alterslast wurde kollektiviert, die Kinderlast bleibt Privatsache. Mit dieser Konstruktion bestraft das geltende Rentenrecht die Familie und innerhalb der Familie ganz besonders die nicht oder nicht voll berufstätige Mutter!“ (1)

Es kann nicht sein, dass ein Ehepaar – bei dem nur der eine ein Leben lang ein Gehalt oder einen Lohn einsteckt – Kinder aufzieht und am Ende nur eine Rente bekommt. Auf der anderen Seite verdienen zwei Ehepartner zwei Renten. Und die Kinder des Paares, das nur eine Rente bekommt, verdienen diese beiden Renten mit. Das ist ein glatter Verfassungsverstoß.“(2)

Andererseits scheint die Sehnsucht nach Kindern doch groß zu sein, wie die boomende Nachfrage kinderloser Paare in Kinderwunschpraxen vermuten lässt? Bei näherem Hinsehen sind es aber oft Paare, die ihren Kinderwunsch z. B. ausbildungsbedingt nur aufgeschoben haben bis die „biologische Uhr“ abgelaufen ist. Dann ist selbst der Kinderwunsch eine Folge des vorangegangenen Verzichts auf Kinder. Wird bei der heutigen Diskussion um Designerbabys und Leihmutterschaft noch an das Kindeswohl gedacht?

Aber was ist gesellschaftspolitisch wünschenswert? Als Verband stimmen wir mit der überwiegenden Auffassung überein, dass unter Beachtung der bei uns erfreulicherweise geringen Kindersterblichkeit eine Zusammengefasste Geburtenziffer (TFR – total fertility rate) von im Schnitt 2,1 Kindern pro Frau anzustreben ist. Da es immer Paare mit einem oder gar keinem Kind geben wird, sind auch Familien mit drei und mehr Kindern erforderlich. Eine geringere Ziffer führt zum Rückgang der Bevölkerung, langfristig zum Arbeitskräftemangel und zu einem Sog für Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen, was neue Probleme schafft. Eine höhere Ziffer überfordert bestehende Ressourcen und ist ebenfalls nicht erstrebenswert.

In Deutschland besteht heute seit mehreren Jahrzehnten eine Ziffer, die weit unter 2 liegt. Daraus ist zu schließen, dass sich die Bedingungen für Familien, Kinder zu erziehen, in dieser Zeit im Rahmen der Gesamtgesellschaft erheblich verschlechtert haben. Als Hauptursache ist zu vermuten, dass unsere Sozialgesetzgebung die Altersversorgung von der Anzahl der Kinder abgekoppelt und stattdessen an die Erwerbstätigkeit angedockt hat. Die Kinder einer Generation finanzieren die Renten und Pensionen aller Rentner und Ruheständler, wobei kinderlose Paare und Alleinstehende in großem Ausmaß profitieren, die Eltern aber verlieren. Denn es ist sachwidrig, die Rentenanwartschaft vor allem an Erwerbsarbeit zu binden, wenn die Renten ausschließlich von den Kindern der Rentner finanziert werden müssen. Eine Verarmung der Familien ist dann die zwingende Folge, die bei kinderreichen Eltern und Alleinerziehenden besonders deutlich wird. Diese Ungerechtigkeit muss abgeschafft werden. Die Höhe der Altersversorgung muss entweder zwingend die Anzahl der Kinder stärker berücksichtigen oder die finanzielle Belastung durch Kinder mittels eines angemessenen Lastenausgleichs aufheben. Das ist eine zentrale Forderung an die Politik.

Nationale wie internationale Studien (3) haben schon längst aufgezeigt und bewiesen, dass frühkindliche Fremdbetreuung keineswegs auch frühkindliche Bildung bedeutet, sondern dass es stattdessen immer mehr Kinder mit Störungen gibt, darunter viele mit klinischer Relevanz. Die Coronamaßnahmen haben die Familien und besonders die Schulkinder und Studierende zusätzlich belastet. Essstörungen, Depressionen und sozialer Rückzug waren oft die Folgen. Haben die jungen Erwachsenen den Lebensmut, die Lebensfreude auf Zukunft verloren?

Als Verband Familienarbeit wollen wir hier entgegenwirken. Nichts und niemand stabilisiert den Menschen so sehr wie eine intakte Familie (4). Sicher wissen wir, dass nicht alle Familien intakt, auch nicht alle vollständig sind mit Großeltern, Vater und Mutter. Wir wissen auch, dass der Staat und die Gesellschaft nicht alle Probleme lösen können, dass es auch erhebliche Stadt-Land-Unterschiede gibt. Auch in uns selbst liegt die Kraft der Stabilisierung: im füreinander Da-Sein bis ins hohe Alter. Statt Einsamkeit gemeinsame Unternehmungen, gemeinsame Mahlzeiten. Zusammen den Alltag, Feste und Krisen durchleben, das geht auch ohne Fernreisen, Designermode und Restaurantbesuche. Familien mit Kindern und Enkeln erfreuen sich am gemeinsamen Kochen, am Mithelfen, auf Ausflügen in die Umgebung. Mut zur Familie haben, heißt oft genug Verzicht, verheißt aber auch Halt und Zuversicht. Im besten Fall sogar dauerhaftes Glück! Ohne zahlreiche gesunde, wohlbehaltene und lebensfrohe Kinder hat eine Gesellschaft keine Zukunft! Die Opferbereitschaft vieler Eltern darf aber nicht deren Ausbeutung rechtfertigen.

Diese Zukunft von Familie und Gesellschaft wird in Frage gestellt, wenn die Kinderbetreuungsarbeit zu einer Sonderbelastung für Eltern wird, die den Verzicht auf Kinder immer attraktiver erscheinen lässt. Die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ist eine aktuelle Mogelpackung, mit der die Gleichberechtigung der Eltern unmöglich gemacht wird, da die elterliche Familienarbeit als Sonderbelastung der Eltern behandelt wird. Demgegenüber ist die elterliche Kinderbetreuung der Erwerbsarbeit gleichzustellen, wenn Kinder verpflichtet werden, die Altersversorgung der gesamten Rentnergeneration zu finanzieren. Im Gegensatz dazu wird heute sogar die Anerkennung von bis zu 3 Erziehungsjahren bei der Rente (sog. Mütterrente) als kleiner Schritt in die richtige Richtung von mancher Seite wieder in Frage gestellt.

Das Konzept einer Ausgewogenheit zwischen Versorgung von Kindern und Alten wurde bereits 1956 von Wilfrid Schreiber als „Generationenvertrag“ innerhalb einer Familie definiert:

Die Eltern ziehen die Kinder groß und erwerben dadurch den selbstverständlichen Anspruch, in ihrem Alter von den Kindern unterhalten zu werden.“ (5)

Schreiber wollte in seinem Vorschlag gegenüber dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer diesen Vertrag innerhalb der Familien auf die ganze Gesellschaft übertragen, um soziale Sicherheit für alle zu erreichen. Das war die Grundlage der Gesetzlichen Rentenversicherung mit dynamischer Altersrente, die allerdings durch eine gleichwertige dynamische Absicherung der Kinder („Dynamische Kindheits- und Jugendrente“) begründet werden sollte. Adenauer soll aber gesagt haben „Kinder kriegen die Leute immer“ und verzichtete auf diesen zweiten Teil des Vertrages. Dieser Irrtum Adenauers verhinderte die Verwirklichung eines gegenüber den Kindern und Eltern fairen Generationenvertrages. Darunter haben wir bis heute zu leiden, weil das dann verwirklichte System der Altersversorgung einer Enteignung der Eltern gleichkam die bis heute fortbesteht. Im Übrigen muss dieses System auch die jeweils nachfolgende Generation überfordern, weil sie die Renten des wachsenden Anteils kinderloser Rentner mitfinanzieren müssen.

Die tieferen Gründe für Verzicht auf Kinder und Abbruchwünschen liegen in Einstellungen, die sich zwar nicht unbedingt vollständig aber doch weitgehend auf die bestehenden gesetzlichen Regelungen zurückführen lassen. Soweit das der Fall ist, muss das auch wieder korrigiert werden, wenn unser GG ernst genommen wird. Das ist eine zentrale Aufgabe unserer Gesellschaft und das zentrale Ziel unseres Verbandes.

Quellen

1 von Münch, Eva Marie in: Benda, Maihofer, Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auflage, Walter de Gruyter Berlin / New York, 1994, Seite 321

2 Herzog, Roman (Präsident des Bundesverfassungsgerichts 1987–1994, Bundespräsident 1994–1999) in: „Gesichertes Leben“, Zeitschrift der LVA Baden Ausgabe 4/1996, Seite 4

3 Das geht einerseits aus der NLSCY-Studie in Quebec/Kanada hervor und wird auch vom Autor Josef Krauss so eingeordnet. Unter „Stiftung Familienwerte“ formuliert er in dem Beitrag „Die Atomisierung der Familie ist zum Schaden der Kinder“ im vorletzten Absatz der Seite 1:

Der Staat reagiert also auf Veränderung in den Familien nicht familienfördernd, sondern familienzerstörend.“

4 „Die INSA-Familienstudie 2024 zeigt: Die traditionelle Familie ist das Maß aller Dinge“, Franz Stuhrmann in: „Familienarbeit heute“, 3/2024, Seite 10

5 Wilfrid Schreiber, „Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft“, 1955, Vorschläge zur Sozialreform, Schriftenreihe des Bundes katholischer Unternehmer (BKU), S. 31

Der Vorstand des Verbandes Familienarbeit e.V.

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