3. Dezember 2024

Umberto Eco und der Faschismus

 Umberto Eco (1932-2016) war ein italienischer Schriftsteller, Kolumnist, Philosoph, Medienwissenschaftler und Zeichentheoretiker (Semiotiker). Durch seine Romane erlangte er Berühmtheit. Das Werk Der Name der Rose erschien 1980. Allein bis 1989 wurden über acht Millionen Exemplare verkauft. 1986 wurde der Roman mit Sean Connery in der Hauptrolle unter dem Originaltitel verfilmt.

Umberto Eco, der unter Mussolini aufgewachsen ist, erarbeitete eine Liste von 14 Merkmalen des Faschismus. Üblicherweise werden diese Merkmale allein auf rechtsnationalistische Kreise übertragen. Selten finden wir alle Merkmale innerhalb einer Gruppierung. Oft nur eine kleine Auswahl. Und dennoch werden diese Gruppen dann als faschistisch betrachtet. Doch was ist, wenn man einfach einmal auch andere Gruppen vorurteilsfrei auf diese Merkmale hin betrachtet?

Laut Eco ist der Urfaschismus immer noch um uns, manchmal sehr unscheinbar gewandelt. Es wäre für uns so viel leichter, träte jemand vor und verkündete: „Ich will ein zweites Auschwitz, ich will, dass die Braunhemden wieder durch unsere Städte marschieren.“ Das Leben ist nicht so einfach. Der Faschismus kann in der unschuldigsten Verkleidung wieder auftreten. Wir haben die Pflicht, ihn zu entlarven und jedes seiner neueren Beispiele kenntlich zu machen.

Die folgende Aufzählung ist so an vielen Stelle im Internet zu finden. Es fällt auf, daß die erklärenden Worte der (fettgeschriebenen) Merkmale bereits einseitig Richtungsweisend sind.


Was also macht den Kern des Urfaschismus, die “ewig Gestrigen” aus?

Betrachten wir zunächst diese 14 Merkmale nach Umberto Eco in “moderner” Sichweise

1. Traditionenkult: Der Traditionalismus als Gegenbewegung zum Synkretismus (Vermischung verschiedener Religionen, Konfessionen, philosophischer Lehren); „Es kann keinen Fortschritt der Erkenntnis geben, die Wahrheit ist ein für allemal verlautbart.“

2. Ablehnung der Moderne: Trotz Technikverehrung fußt die Ideologie auf Blut und Boden. Im Grunde werden die Aufklärung und die Werte von 1789 abgelehnt.

3. Irrationalismus: „Denken als Form der Kastration.“ Kultur wird verdächtigt, sobald sie kritisch wird. Misstrauen gegenüber dem Intellekt.

4. Ablehnung der analytischen Kritik: Wenn die Wissenschaft mangelnde Übereinstimmung als nützlich ansieht, ist es für den Urfaschismus Verrat.

5. Ablehnung von Meinungsvielfalt und Pluralismus: Die natürliche Angst vor Unterschieden wird ausgebeutet und verschärft. Der erste Appell des Faschismus oder Vorfaschismus richtet sich gegen Eindringlinge.

6. Entstehen (des Faschismus – Anm.) durch individuelle oder soziale Frustration: Der Appell an die frustrierte Mittelklasse in einer ökonomischen Krise oder bei politischer Demütigung.

7. Nationalismus: Menschen, die sich der sozialen Identität beraubt fühlen, wird ein einziges Privileg zugesprochen: In demselben Land geboren zu sein. Die Wurzel der urfaschistischen Psychologie ist Verschwörung. Die Anhänger müssen sich belagert fühlen, am besten durch Fremde.

8. Demütigung vom Reichtum und der Macht der Fremden: Damals: „Juden sind reich und haben ein geheimes Netz gegenseitiger Unterstützung.“ Heute: „Flüchtlinge kriegen alles, haben iPhones und haben sich zur ‚Invasion‘ verschworen.“

9. Das Leben ist nur um des Kampfes Willen da: Pazifismus ist die Kollaboration mit dem Feind.

10 Elitedenken: Man gehört dem besten Volk, der besten Rasse an. Der Führer weiß, dass ihm die Macht nicht demokratisch übertragen werden kann, dass seine Kraft in der Schwäche der Masse wurzelt. Jeder Unterführer verachtet seine Untergebenen. Die Folge ist ein massenhaftes Elitebewusstsein.

11. Erziehung zum Heldentum: Ein Held ist in der Mythologie ein außergewöhnliches Wesen. Im Faschismus ist der Held die Norm. Das Heldentum hängt eng mit einem Todeskult zusammen. Der Held im Faschismus sucht ungeduldig den heroischen Tod als beste Belohnung und schickt in dieser Ungeduld gerne andere in diesen Tod.

12. Übertragung des Willens zur Macht und des Heldentum auf die Sexualität: Das ist der Ursprung der Frauenverachtung und der Intoleranz gegenüber ungewöhnlichen Sexualpraktiken (von Keuschheit bis Homosexualität) und die Neigung zur „phallischen Ersatzübung“, dem Spiel mit der Waffe.

13. Selektiver Populismus: Der individuelle Bürger wird durch den Volkskörper ersetzt. Das Nürnberger Reichstagsgelände wird zum Internetpopulismus.

14. Urfaschismus spricht „Neusprache“: Ein verarmtes Vokabular mit Framing und Deutungshoheit. Von „Lügenpresse“ bis „Umvolkung“ werden Begriffe neu etabliert.


Die Ideologie des “modernen Menschen”

Und jetzt begeben wir uns einmal in die Jetztzeit und lassen die einseitige Richtungsweisung einfach einmal weg. Finden wir diese oder ähnliche Merkmale auch in den modernen, den Mainstreamideologien? Also in den teilweise fälschlich als links bezeichneten Parteien und Bewegungen. Finden wir Gegenteiliges? Und wenn ja, mit welcher Insensität begegnet es uns

1. Traditionenkult: Die klassische Tradition ist verhasst. In jeder Tradition lebt das Alte, rassistische, allgemein das Böse weiter. Selbst die “Tradition des Klassenkampfes der Arbeiterklasse” ist ein Nogo geworden. Traditionelle Medizin wird abgelehnt und nur BigPharma hat die richtigen Rezepte. Der Mensch selber wird Transhuminisiert, zum technisch perfekten Wesen.

2. Es lebe die Moderne: Nur noch das moderne, Zeitgemäße ist gut. Es gibt einen Paradigmenwechsel hin zur Ablehung von historisch gewachsenen, geschichtlich und natürlich gewachsene Zusammenhänge werden verneint. Selbst wissenschaftliche Tatsachen werden abgelehnt und gleichzeitig die Kritik an dieser Ablehung als unwissenschaftlich difamiert.

3. Irrationalismus: In der Kunst ist “Cancel Culture” ist die moderne Praxis. Der kritische, etwas in Frage stellende Künstler wird mit öffentlich, medialer Verachtung bestraft. Der selbstständig Denkende wird, sofern seine Ergebnisse nicht mit der öffentlichen Meinung übereinstimmen, diffamiert und beschimpft.

4. Ablehnung der analytischen Kritik: Von gutbetuchten Think Tanks mit großkapitalen Hintergrund vorgebene Ideologie wird zur vorherschenden politische Meinungen und somit zum Non+Ultra der Gesellschaft, Invidenz und unabhängige Untersuchungen von Zusammenhängen sind nicht erwünscht. Wurde in der Corona-Krise sehr deutlich gehandhabt.

5. Ablehnung von Meinungsvielfalt und Pluralismus: Meinungsvielfalt und Pluralismus sind konsens und werden dogmatisch gefördert. Jede der geduldeten Vielfalt widersprechende Ansicht wird unterdückt und deren Vertreter als menschenfeindlich diffamiert. Quer ist zwar völlig ok, aber im Zusammenhang mit Denken unerwünscht. Selbst fundierte Warnungen vor offensichtlichen Fehlentwicklungen werden unterbunden. Das Toleranzparadoxon wird gelebt.

6. Entstehen (des Faschismus – Anm.) durch individuelle oder soziale Frustration: Jede Ökonomie hat durch ihr verwendetes Zinsgeldsystem in einem gewissen Zeitraum auch ihren Lebenskreis von Wachstum, Blüte, Stagnation und Niedergang durchlaufen. In der Stagnations und Niedergangsphase kommt es zu monetär bedingten gigantischen Aufstieg weniger und zum massenhaften Abstieg breiter Bevölkerungsschichten. In diesem Abstieg liegt die Wurzel zur Bereitschaft vom ökonomischen Realismus zum politischen Idealismus zum wechseln.

7. Nationalismus: Nicht nur die überteigerte nationale Idee, auch die Nationalität als solche wird als überholt und gefährlich angesehen. Jede Form von nationaler Identidät wird verpöhnt und mit Hilfe fremder Nationalitäten, welche durchaus als solche gesehen werden, bekämpft.

8. Demütigung vom Reichtum und der Macht der Fremden: Das Teile und Herrsche Prinzip wird verfeinert. Nach der Privatisierung der Volksvermögen in den Händen einer selbsternannten Elite werden alle andern zu unbedingter Solidarität gezwungen. Notfalls mit gesetzlicher Androhung. Dies pervertiert den Solidaritätsgedanken und verfestigt die Ablehung der Fremden.

9. Das Leben ist nur um des Kampfes Willen da: Pazifismus wird auch von den aktuellen Machthabern als schädlich im Kampf gegen den “bösen” Gegner betrachtet. Selbst Gruppen, welche durch den Pazifismus erst groß geworden sind, lehnen ihn jetzt in 2. und 3. Generation aus Kalkül ab. Er wird als Wachstumshemmend betrachtet, da er den Absatz von Rüstungsgütern gefährden könnte. Pazifisten sind die 5 Legion des “Feindes”

10 Elitedenken: Wir sind die Guten, Wir stehen auf der richtigen Seite. Unabhängig von Geschlecht, Nationalität und allen anderen menschlichen Unterschieden wird die Unterordnung und der Gehorsam gegenüber dem WIR, also dem Obrigkeistsstaat und der Politik als unerlässlich angesehen. Der Staat wird zum Übervater, welchem widerspruchslos zu gehorchen ist. Kritik wird zu Delegetimierung.

11. Heldentum: Helden sind out und Einordnung in gängige Verhaltensmuster in. Dennoch bauen die Medien systematisch Helden auf, allerdings in Richtung einer Art Messias-Erwartung, auch um Formen eigenständigen Handelns zu unterbinden.

12. Wille, Macht und Sexualität: Jegliche Form von Sexualität wird gefördert, jeder kann und darf alles, nur das beharren auf natürliche, nicht ideologische Zustände, z.B. natürliche – biologische – Zweigeschlechtigkeit wird als intollerant diskretiert. Es wird eine Art biologische Entwurzelung angestrebt

13. Selektiver Populismus: Der individuelle, selbstständige und unabhängig denkende Mensch wird durch ein sich ultra anpassungsfähiges, bindungsfreies und flexibles homonoides Wesen ersetzt. Sich in den Händen weniger befindliche allgegenwärtige Medien bestimmen die öffentliche und zubefolgende Meinung und steuern den täglichen Lebenslauf.

14. Faschismus spricht „Neusprech“: Es findet ein Kampf um die Deutungshoheit der Sprache statt. Die wahre Bedeutung der Worte in der Sprache ist obsolet. Altbekannte, positiv besetzte Begriffe werden unter dem Vorwand der Antidiskriminierung ausgetauscht mit nichtssagenden, aber poltisch-ideologisch korrekten Begriffen. Dies reicht bis in die Kernzelle jeder Gesellschaft, in die Familie hinein. Vater und Mutter werden gestrichen und durch Elternteil 1 und Elternteil 2 ersetzt.

Fazit

Faschismus ist keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal einer sogenannte “Rechten”. Auch wenn dies besonders in Deutschland immer wieder mit einem kleinen “DreiviertelÖsterreicher” und seinen (heutigen) Anhängern so in Verbindung gebracht wird und alle anderen ihre Hände in Unschuld waschen.
Faschismus ist ein Merkmal einer im Niedergang sich befindlichen kapitalistischen Ökonomie zum Zwecke ihrer Machterhaltung.

Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.

Ignazio Silone

Und daher ist ihm jedes Mittel recht. Um ihn in seinen Spielarten zu erkennen, ist es Notwendig, neben den hier vorgestellten Merkmalen seine innere Struktur zu kennen. Mit diesen hatten wir uns schon einmal in diesem Beitrag beschäftigt.

Na denn,
Denken sie einmal darüber nach –
einen schönen Tag noch!
HH

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