Vor kurzem wurde ich zu einer Veranstaltung, einem Protest vor dem roten Rathaus eingeladen. Thema: Die Jugendhilfe steht bis zum Hals im Wasser! Es ist kein Geld mehr für die nötigsten Investitionen und Interventionen zur Verfügung und der städtische Kindernotdienst sowie die gesamte Jugendhilfe steht vor dem Kollaps.
Was mir dabei auffällt: Bei aller Rechtfertigung für diese Proteste sehe ich aber ein Stück auch hinter die Kulissen. Wir sollen nun als Fachkräfte, die hier das Manko bis zur eigenen Überforderung mittragen und deshalb auf die Missstände aufmerksam machen wollen, mit Trillerpfeifen und Ratschen Lärm vor dem Rathaus machen als eine Form des Protestes. Es heißt, um hier ein „Zeichen zu setzen“.
Ich habe mich geweigert, da mitzumachen. Warum?
Ich sehe nicht ein, warum ich mich bei aller Not nun auch noch wie ein verzogenes Kind gebärden muss, um auf die Missstände den Verantwortlichen gegenüber hinzuweisen. Es ist aus meiner Sicht demütigend, sich vor den „hohen Herrn“ in dieser Art lächerlich zu machen, um für ein strukturelles Problem, wofür die Politik die Verantwortung trägt, einzustehen.
Ich spüre immer mehr, dass diese Art des Protestes einer Infantilisierung der arbeitenden Bevölkerung gegenüber den „despotischen Eltern“ gleichkommt. Ich erlebe eine systematische Manipulation, die sich darin zeigt, dass arbeitende Menschen wie Kinder dem „großen Papa“ gegenüber auftreten müssen, gleichsam pubertär und trotzend, um „gehört“ zu werden. Diese Entwicklung gehört im übrigen in die Manipulations-Strategie: „Emotionalisierung von Sachthemen“, was bei vielen anderen aktuellen Themen zu beobachten ist.
Ich frage mich, warum sollte ein verantwortlicher Funktionär auf Trillerpfeifen und tanzende „Demonstranten“ reagieren, wenn er schon auf der Sachebene nicht auf die ihm bekannte Problematik reagiert?
Das Volk findet sich mittlerweile im Kind-Ich wieder, welches permanent den „despotischen Eltern“ (das sich etablierte Eltern-Ich) gegenüber in unreifer und infantiler Manier um Aufmerksamkeit buhlt. Für mich ist dies ein herabwürdigendes und peinliches Schauspiel, bei dem durchaus intelligente Erwachsene mitmachen. Wir kennen diese Dynamik aus der Transaktionsanalyse. Das Gegenteil einer gleichwürdigen Kommunikation zwischen Erwachsenen ist die zwischen Kind-Ich und Eltern-Ich, die einen gleichwürdigen Diskurs verhindert.
Wie kommen wir denn darauf zu denken, dass Politiker erst dann ein Problem ernst nehmen, wenn wir uns ihnen gegenüber zu Kindern machen? Bei aller Liebe zu Rebellion und Nein-Sagen der Obrigkeit gegenüber – die ja immer wichtiger wird. Aber wir müssen neue Formen des „Nicht-Mitmachens“ und der „Verantwortungs-Rückdelegierung“ finden, als uns vor den „hohen Herrn“ zum Hampelmann zu machen!
Ist uns eigentlich bewusst, dass diese Form des „Protestes“ bereits das Ergebnis der jahrzehntelangen Gehirnwäsche ist? Dass diese Form des „Protestierens“ bewusst öffentlich lanciert wurde, um Unzufriedenheiten und Widerstände systemschonend zu kanalisieren? Ich meine damit keineswegs, dass hier zu Gewalt gegriffen werden soll. Ganz im Gegenteil! Es gibt andere Formen des Protestes, der Empörung. Lasst uns über erwachsene Formen des Nichtmitmachens, der Verweigerung reden!
Wir müssen uns darüber klar werden, dass wir nur dann etwas verändern können, wenn wir „bei uns bleiben“. Wir brauchen dafür demokratische Strukturen, die es uns ermöglichen, die Verantwortlichen auf einer sachlichen und diskursiven Ebene an ihre Verantwortung zu binden, für die sie angetreten sind und für die sie viel Geld bekommen. Es gibt andere Möglichkeiten, sich zu verweigern, nicht mitzumachen. Auf die müssen wir uns besinnen. Jedenfalls glaube ich nicht mehr daran, dass sich Funktionäre dieses Systems, das seit wenigsten 4 Jahren seine wahre und menschenfeindliche „Fratze“ gezeigt hat, noch durch Trillerpfeifen, Luftballons und bunte Fähnchen in ihrer Selbstgerechtigkeit und der des politisch-wirtschaftlichen Systems, dem sie angehören, zu bewegen sind.
Und ich befürchte, dass wir nur noch Verachtung bekommen von denen, die hier Politik inszenieren und zum peinlichen Schmierentheater verkommen lassen. Und da mache ich nicht mit, um meiner Selbstachtung willen!