30. Oktober 2024

Alterssicherung – drei gefährliche Mythen

Ein Beitrag von “Die Aufklärung” — übernommen aus Facebook


Der demografische Wandel gefährde die Alterssicherung. Schutz biete die private Altersvorsorge, die effizienter sei als die staatliche, heißt es. Doch stimmen diese Behauptungen?

Grundlegend betrachtet, entpuppen sie sich als gefährliche Mythen. Es war absehbar und doch kam ihre Rückkehr für viele unerwartet. Nun ist sie also plötzlich wieder da: die Diskussion um die Altersrente!

Die Diskussion muss in der Tat geführt werden, aber anders als die Berater des Wirtschaftsministeriums (Rente mit 68) oder des IW (Rente mit 70) sich das vorstellen. Es ist lohnenswert, sich zunächst ein paar grundlegende Zusammenhänge vor Augen zu führen und zentrale Argumente genauer anzuschauen.

Nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern Europas und Asiens sinkt die Erwerbsbevölkerung. Ohne Migration wird diese stärker schrumpfen als die Bevölkerung insgesamt. Das bekannte Schlagwort hierzu lautet: demografischer Wandel. Da die Finanzierung der gesetzlichen Rente bisher zum großen Teil durch die Beitragszahlungen aus den Löhnen der arbeitenden Bevölkerungen erfolgt, ist klar, dass die Finanzierung auf neue Füße gestellt werden muss.

Doch die notwendige Debatte zur Neugestaltung der gesetzlichen Rentenversicherung wird seltsam eindimensional geführt. Es entsteht der Eindruck, dass es nicht darum geht, eine als gerecht akzeptierte und für alle existenzsichernde Rente zu ermöglichen. Vielmehr sollen die Lohnnebenkosten oder die Steuerquote nicht erhöht werden, während zugleich die bisherigen Privilegien insbesondere der Immobilienbesitzerinnen und Aktienbesitzer als unantastbar gelten.

Darüber hinaus scheinen auch die Versicherungswirtschaft und die großen Kapitalanlagegesellschaften wie BlackRock oder Vanguard aktiv die Rentendebatte »mitzugestalten«. Daher lohnt es sich, bevor konkrete Alternativen vorgeschlagen werden, zunächst den Wahrheitsgehalt gängiger Mythen etwas genauer zu beleuchten.

Mythos 1: Bei der Altersrente gibt es in erster Linie ein demografisches Problem

Diese Behauptung ist falsch. Zunächst ist, wie so oft, auch bei der Altersrente die Frage zustellen, was eigentlich insgesamt an Wirtschaftsleistung erbracht wird und wie diese sich bei einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung entwickelt.

Hier ist insbesondere das Beispiel Japan interessant:

Das BIP stagniert dort seit Jahren, aber interessanterweise nimmt es jetzt auch nicht ab, obwohl die Erwerbsbevölkerung schrumpft. Statistisch entspricht dies einem Anstieg der Produktivität, den es dort lange nicht gegeben hat und den es auch bei uns – bei noch steigender Arbeitsbevölkerung – nicht gibt. Dies dürfte übrigens daraus resultieren, dass die Wirtschaftsleistung wesentlich von der Nachfrage, und nicht allein vom Angebot an Arbeitskräften und den theoretisch verfügbaren Produktionstechniken abhängt. Mit anderen Worten: Die Grundvoraussetzung für gleichbleibende Löhne und Renten, nämlich eine stabile Wirtschaftsleistung, bleibt auch bei einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung gegeben – gäbe es da nicht die Grund-, Immobilien- und anderen Kapitalbesitzer, die einen stets wachsenden Teil dieser Wirtschaftsleistung für sich beanspruchen.

Außerdem darf nicht vergessen werden: Wer die Bevölkerungsentwicklung betrachtet, sollte sie als Ganzes im Blick behalten: Nicht nur die Alten, sondern auch die Jungen und deren Ausbildung sind Teil ein und derselben demografischen Aufgabe. Die Rentenfrage kann und darf nicht losgelöst von der Frage der Versorgung und Ausbildung der nächsten Generation betrachtet werden.

Mythos 2: Die Kapitalmärkte bieten Schutz vor dem demografischen Wandel

Immer wieder wird das Märchen verbreitet oder zumindest suggeriert, die Kapitalmärkte böten Schutz vor dem demografischen Wandel. Die Märkte würden sozusagen die Frage der Altersversorgung von der demografisch getriebenen Entwicklung der Lohnsumme und somit der Altersrenten abkoppeln.

Dies ist ebenfalls Unsinn!

Wenn die Erwerbsbevölkerung schrumpft und die Wirtschaftsleistung parallel zurückgehen sollte, dann bleibt auch für die Renditen und Gewinne an den Kapitalmärkten weniger übrig als heute. – Außer die Kapitalmärkte und deren Erträge vergrößern ihren Anteil an der Wirtschaftsleistung weiter zulasten der Erwerbsbevölkerung, also der Löhne, der Lohnsteuern und der Rentenbeiträge! Und sollte analog zu Japan das BIP nicht schrumpfen, so bietet der Kapitalmarkt selbst dann keine bessere Absicherung gegen den demografischen Wandel als ein gutes Umlagesystem.

Es ist empfehlenswert, sich stets vor Augen zu halten, dass auch der Kapitalmarkt ein – wenn auch deutlich komplizierteres und intransparenteres – Umlagesystem darstellt. Gelder werden irgendwo hin- und hergeschoben und die Empfängerfirmen geben dafür Versprechen für die Zukunft, deren Erfüllung sie niemals sicher garantieren können. Denn deren Realisierbarkeit hängt stets von der allgemeinen makroökonomischen Entwicklung ab!

Gerne wird dann darauf hingewiesen, wir könnten das für die Alterssicherung gesparte Geld renditeträchtig im Ausland anlegen. Doch dies bedeutet entweder explizit, mit neokolonialer Finanzmarktpolitik die Schwellenländer für uns arbeiten zu lassen, also für uns auszubeuten.

Oder umgekehrt: Das den Schwellenländern geliehene Geld löst sich plötzlich durch Wirtschaftskrisen oder Währungsabwertungen in Luft auf. Erstrebenswert ist beides nicht, und ein eventuell noch vertretbarer Mittelweg wäre ein schmaler, unkalkulierbarer Grat, der faktisch nicht existiert. Daher können Auslandsforderungen keine belastbare Basis für eine nachhaltige Sicherung der Altersrente darstellen. Außerdem, wie sich mit der volkswirtschaftlichen Saldenmechanik zusammen mit der Funktionslogik des heutigen Geld- und Finanzsystems zeigen lässt: Private Spargelder in Form von Beiträgen für private Sicherungssysteme bedeuten eine Abschöpfung von Kaufkraft und wirken daher grundsätzlich nachfrage- und inflationsdämpfend.

Sie führen nicht zur Erhöhung der Investitionen!

Kapital arbeitet nicht.

Wenn mehr Ältere versorgt werden müssen, muss die Wirtschaft produktiv und effizient genug sein, dass neben der materiellen Versorgung mit Gütern auch die immaterielle Unterstützung der wachsenden Zahl von Alten sichergestellt werden kann. Die Finanzialisierung des Gesundheits- und Pflegesystems kann dazu nichts beitragen. Gewinngetriebene Scheineffizienz muss durch eine gute, arbeitnehmerfreundliche Organisation der Pflege ersetzt werden.

Mythos 3: Private Altersvorsorge ist effizienter als staatliche Vorsorge Auch wenn diese Behauptung mittlerweile seltener offensiv verkündet wird, ist sie nicht verschwunden. Doch die Fakten sind eindeutig: Die Kosten der privaten Rentenversicherung sind nennenswert höher als die der staatlichen.

Und das hat ganz handfeste, strukturelle Gründe:

1. Der Staat muss keine teure Vertriebsabteilung unterhalten.

2. Die Kosten für die Administration und insbesondere die Kosten für Überwachung und Sicherung der Finanzstabilität der Versicherungsgesellschaften können nicht vernachlässigt werden. Bei einem staatlichen System fallen diese Kosten nicht an. Die staatliche Administration kommt komplett ohne International Financial Reporting Standards (IFRS) und Harmonisierung von Aufsichtsregeln (Solvency II) aus.

3. Makroökonomische Risiken werden privat

versichert – und das ist grundsätzlich ineffizient. Das Risiko, dass die künftige Lebenserwartung und somit die Rentenbezugsdauer steigt, wird von den Versicherungen getragen, aber diese können dieses Risiko nicht durch eigenes Management reduzieren. Daher setzen die Versicherungen zwangsläufig viel zu lange Restlebenserwartungen an. Und wenn die Menschen dann, wie zu erwarten, doch früher sterben, dann verbleiben die nicht gezahlten Rentenleistungen natürlich bei den Versicherungen. Der Staat hingegen kann auf sich ändernde Lebenserwartungen anders reagieren und ist nicht gezwungen, mit Beginn der Rentenzahlung eine Restlebensdauer (und einen durchschnittlichen Zinssatz) für die Zeit der Rentenzahlung festzulegen.

Fazit: Private Altersvorsorge ist ein ziemlich teurer Unsinn Die private Altersvorsorge ist und bleibt ein ziemlich teurer Unsinn, von dem in erster Linie die Versicherungen und die Vermögensverwalter profitieren!

Es ist wichtig, die Logik der Alterssicherung insgesamt zu analysieren und zu verstehen. Und das Ergebnis ist eindeutig:

Der demografische Wandel führt nicht automatisch zu einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung, während die private Altersvorsorge keinen Schutz gegen eine schrumpfende Wirtschaftsleistung bietet. Die private Vorsorge ist ineffizient und unzuverlässig und stellt keine brauchbare Antwort auf die Herausforderungen der demografischen Veränderungen dar.

Die private Vorsorge untergräbt stattdessen durch unhaltbare Versprechen und die Förderung struktureller Bereicherung einer Minderheit zulasten der Mehrheit das Vertrauen in den Staat und die demokratische Gesellschaft. Die eigentliche Herausforderung ist

der noch fehlende politische Wille, die privaten Rentenversicherungen von Steuererleichterungen oder Förderungen jedweder Art auszunehmen und die Altersrente solide aus dem Reichtum unserer Gesellschaft zu finanzieren!

Verfasser:

Diplom-Volkswirt, Matthias Klimpel

https://inwo.de/…/FAIRCO…/ausgaben/ausgabe-2021-1.pdf…

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