11. Dezember 2024

Hitlervergleichen für Einsteiger

Daniel D. Dietze über Weggelassenes und Widersprüchliches in der „Sächsischen Zeitung“.

Nachdem die Redaktion der SZ seit Jahren keine Gelegenheit auslässt, jeden Kritiker der deutschen Regierung (der nicht bei „Drei“ auf dem Baum ist) ins rechte Eck zu stellen und jeden Vergleich der Corona-Maßnahmen mit Verweis auf „Antisemitismus“ und irgendwas mit „Holocaust“ abzubügeln, veröffenlicht sie im Feuilleton am Montag, den 28. März 2022 nun einen Artikel von Christoph Driessen unter der Überschrift „Parallelen zwischen Putin und Hitler?“. Die Redaktion fasst den Beitrag einleitend so zusammen:

„Der bekannte Holocaust-Forscher Götz Aly erkennt bestimmte Verhaltensmuster wieder.“

Die in der Überschrift und von der Redaktion aufgestellte Frage wird also von der Redaktion selbst augenblicklich mit einem ausdrücklichen „Ja“ beantwortet. Das passt auch hervorragend zu dem von der Redaktion gewählten Bild, das den Beitrag schmückt:

„Auf der John-Lennon-Mauer in Prag hat jetzt ein Unbekannter Putin abgesichts des Ukraine-Kriegs als Adolf Hitler dargestellt.“

Da sieht man es ja. Schwarz auf Weiß, Scheitel, Bärtchen, strammer Blick und drumherum alles bunt. Wem die Parallelen nicht auffallen, der ist offensichlich blind. Doch wie beantwortet Christoph Driessen die Frage nach den Parallelen? Er schreibt:

„Unter Historikern herrscht Einigkeit darüber, dass eine Gleichsetzung von Putin mit Hitler absolut unzulässig ist. Hitler war der Hauptverantwortliche für das beispiellose Menschheitsverbrechen der Shoah. Sechs Millionen europäische Juden wurden binnen drei Jahren ermordet. Zudem hat Hitler den Zweiten Weltkrieg mit mindestens 60 Millionen Toten [Anmerkung: darunter 37 Millionen sowjetische Kriegstote] vom Zaun gebrochen. Das sind völlig andere Dimensionen als alle Verbrechen, die Putin zur Last gelegt werden mögen.“

Sie ahnen es… „Aber!“

„Aber: „Vergleichen heißt nicht gleichsetzen“, wie es der Historiker Heinrich August Winkler in einem Beitrag für die „Zeit“ mit dem Titel“was Putin mit Hitler verbindet“ klargestellt hat.“

Holla die Waldfee! Eine geniale Feststellung der modernen Aufklärung. Gott sei Dank hat Herr Winkler das endlich und einfürallemal „klargestellt“. Ich werde bei Bedarf und Gelegenheit daran erinnern. Weil aber Christoph Driessen daran offenbar nicht erinnert werden möchte, zündet er anschließend die folgende Nebelkerze:

„Vergleichen bedeutet in der historischen Forschung immer auch, Unterschiede herauszuarbeiten. Wenn das geschieht, handelt es sich um eine anerkannte wissenschaftlich Methode.“

Man möchte sagen: „Ja, Herr Lehrer.“ Denn was Herr Driessen hier scheinbar wie aus dem Schulbuch rezitierend ausformuliert, klingt zunächst ganz gebildet. Genau genommen ist es aber Müll. Wenn das Ziel eines Vergleichs ist, Gemeinsamkeiten herauszustellen, interessieren Unterschiede keineswegs. Aus diesem Grund ist das Wort „Unterschied“ in dem Beitrag zur „Vergleichenden Methode“ auf Wikipedia gar nicht vorhanden. Dort steht hingegen an recht prominenter Stelle zum „Zweck des Vergleichs“ folgendes:

„Die Gründe für einen systematischen Vergleich (etwa von politischen Systemen, Prozessstrukturen etc.) liegen darüber hinaus vor allem in der Darstellung von Unbekanntem und der Hervorhebung bestimmter Spezifika bzw. Anomalien. Obschon sie die wissenschaftliche Begrifflichkeit ad absurdum zu führen scheint, ist damit auch die sprichwörtliche Unvergleichbarkeit von Äpfeln und Birnen entkräftet, da bereits deren bloße Gegenüberstellung eine auf konkrete Besonderheiten abzielende Vergleichende Methode repräsentiert.“

„auf konkrete Besonderheiten abzielende Vergleichende Methode“ – Was interessieren mich also Unterschiede, wenn ich wissen will, was Hitler und eine Birne gemein haben. Müll zu schreiben reicht Christoph Driessen aber nicht, weshalb er sich anschließend gehörig selbst widersprechen muss.

„Es ist zwar äußerst schwierig, irgendwelche konkreten Lehren aus der Geschichte zu ziehen [Anmerkung: Das ist freilich nur was für echte „Experten“]. Aber im besten Fall können in einem solchem Vergleich doch gewisse Muster erkennbar werden, die bei der Beurteilung aktueller Geschehnisse helfen.“

An welcher Stelle nun die von ihm ins Feld geführten „Unterschiede“ beim Erkennen von Mustern behilflich sein sollen, möchte ich gern wissen. Aber nicht von ihm. Denn Forscher wissen längst, dass bei dem für Denkprozesse existentiell notwendigen Erfassen von Mustern allein wiederkehrenden Elementen Aufmerksamkeit zu kommt. Die Konzentration auf alle möglichen und zudem kleinsten Unterschiede hingegen würde wohl in das gedankliche Chaos führen, in dem sich Herr Driessen offenkundig befindet.

Warum Putin so oft über ukrainische Neonazis spricht

„Er [Holocaustforscher Götz Aly] erklärt, warum Putin so oft über ukrainische Neonazis spricht.“

Auch die Antwort auf diese Frage wird in der Einleitung des Artikels großspurig in Aussicht gestellt. Sie ist auch recht bemerkenswert, soll aber erst vorbereitet durch wissenschaftlich höchst neutrale Einordnungen, wie der folgenden, verraten werden.

„Auch Hitler hat ja enorme Truppen aufmarschieren lassen, während gleichzeitig versichert wurde: Der Führer wolle nichts anderes als den Frieden.“ (Götz Aly)

Das haben natürlich ausschließlich Putin und Hitler so gemacht. Sicher, die NATO lässt seit Jahren Truppen gen Osten marschieren, das sind aber schließlich nur „Übungen“, Peace!
Eine weitere absolut sachliche Einlassung eines Historikers folgt:

„Auch als ‚Historiker‘, sprich Geschichtspolitiker, wirkt Putin wie ein gelehriger Schüler Adolf Hitlers.“ (Heinrich August Winkler)

Nach diesen historisch-wissenschaftlichen Tiefschlägen soll nun aber schließlich auch der Beschuldigte zu Wort kommen und die Frage nach den Nazis, von denen Putin dauernd spricht, eine Antwort finden. Götz Aly weiß darüber interessanterweise folgendes:

„Wie in Russland gibt es in der Ukraine sehr harte Rechtsradikale. Man sollte dieses Problem gerade in Deutschland nicht ignorieren. Der größte ukrainische Nazi-Kollaborateur und Antisemit Stepan Bandera hat inzwischen 40 Denkmäler in der Ukraine. Man muss sich klarmachen: Nachdem die Deutschen 1941 in der Ukraine einmarschiert sind, war Kolaboration dort weit verbreitet. Die Deutschen hatten 200.000 ukrainische Hilfspolizisten, von denen mindestens 40.000 an Juden-Erschießungen teilgenommen haben. Diese Kollaboration hat nach Osten hin abgenommen. In der Ostukraine war sie schon sehr gering, im heutigen Russland hat es sie kaum noch gegeben – es existierte keine russische Hilfspolizei der deutschen Besatzer. Diesen historischen Hintergrund darf man nicht leugnen. Darauf spielt Putin zumindest untergründig an.“

Falsch. Putin spielt nicht darauf an. Schon gar nicht untergründig. Er spricht es, wie viele andere auch, ganz offen aus. Und es ist schon bemerkenswert, dass Driessen den Namen „Stepan Bandera“ kennt, weiß, dass in der Ukraine 40 Denkmäler des antisemitischen Massenmörders stehen und gleichzeitig aber nicht weiß, dass beziehungsweise warum Banderas Grab in München ist und wer es andächtig besucht. Hierzu weiß wiederum die „taz“ mehr:

„Andrij Melnyk redet im Bundestag. Der gleiche Andrij Melnyk, der das Grab vom faschistischen Verbrecher Bandera in München besuchte, um seinen „Helden“ zu ehren.“

Auch ich habe darüber bereits ausführlich in Ausgabe 12 („Bandera, Klitschko und die Melnyks“) geschrieben. Naja, immerhin die Redaktion der SZ kennt Andrij Melnyk, der übrigens das Amt des ukrainischen Botschafters in Deutschland bekleidet. Im Beitrag „Ukrainischer Botschafter nimmt an Steinmeiers Soli-Konzert nicht teil“ des selben Tages steht:

„Der ukrainische Botschafter in Deutschland hat an einem vom Bundespräsidenten veranstalteten Solidaritätskonzert nicht teilhenommen. „Nur russische Solisten, keine Ukrainerinnen“, twitterte Botschafter Melnyk zuvor. „Ein Affront. Sorry, ich bleibe fern.““

Möglicherweise hat Melnyk ja stattdessen das Grab von Stepan Bandera besucht, aus Trotz oder um seinen „Helden“ zu ehren. Und möglichweise ist Stepan Bandera – samt seiner Besucher und Blumen am Grab, seiner zahlreichen Denkmäler in der Ukraine und den aktuellsten Ehrungen als Held der Nation – nur ein Fliegenschiss in der ukrainischen Geschichte.

Wenn jetzt jedenfalls noch letzte Unklarheiten in Bezug auf Hitler-Vergleiche oder -Gleichsetzungen bestehen sollten, können Sie sich folgendes merken: Man kann alles mit Hitler vergleichen. Äpfel sowie Birnen. Es kommt eben nur darauf an, wo mehr und gewichtigere Gemeinsamkeiten zu finden sind.
Und apopos „Vergleichen“. Wenn wir den Botschafter Andrij Melnyk, mit Andrij Melnyk, dem Gründer der Organisation Ukrainischer Nationalisten vergleichen, haben wir schonmal zwei Gemeinsamkeiten: den Namen und eine Verbindung zu Stepan Bandera. Weitere Gemeinsamkeiten (und von mir aus auch Unterschiede) finden Sie bei historisch-vergleichendem Interesse in den Wikipedia-Beiträgen zu Stepan Bandera und Andrij Melnyk.

„CIA: Putin hat Hitler 1933 zum Wahlsieg verholfen“. Quelle: Der Postillon. Bild: Georg Pahl (CC-BY SA 3.0)


Quellen:


„Sächsische Zeitung“ vom Dienstag den 28. März 2022, DDV Mediengruppe GmbH & Co.KG, Dresden

Weitere Quelle sind im Text verlinkt.


Titelbild und Logo: Josef Schiller

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