11. Dezember 2024

49, – Euro Ticket für alle?

Ist doch Preiswert, oder? Für eine 6-köpfige Familie sind das nur 3600 Euro im Jahr. Oder etwas mehr als 2 Monatseinkommen eines Mindeslöhners.

Armut, maroder Nahverkehr, Abo- und Digitalzwang schließen viele aus

Softwarefehler, verspätete Zustellung, Arme und Ältere ohne Zugang und ein chaotischer Nahverkehr: Die Einführung des 49-Euro-Tickets entpuppt sich als katastrophal missglückte Entscheidung. Viele, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, bleiben außen vor.

Kein 49-Euro-Ticket für alle: Armut, maroder Nahverkehr, Abo- und Digitalzwang schließen viele aus
Keine Fahrkarte für alle: Bei den 49 Euro monatlich wird es nicht bleiben. Die Bezeichnung “D-Ticket” legt sich auf den Preis nicht fest – Abo, Preissteigerungen und Probleme bei der Fahrkartenausstellung inklusive. Und am liebsten nur noch digital. Werbung im Frühjahr 2023 (Fotomontage/Symbolbild).

Von Susan Bonath

Günstiger Nahverkehr und “Verkehrswende” für alle? Das neue Deutschlandticket für 49 Euro enttäuscht nicht nur dieses Versprechen. Sein Start entpuppte sich als ähnlich katastrophal wie der Zustand weiter Teile des öffentlichen Nahverkehrs in Deutschland. Für Arme, Geringverdiener und viele größere Familien ist es zu teuer, für Bewohner ländlicher Regionen mangels Nahverkehr oft nutzlos und für Menschen ohne Smartphone oder Internet schwer zugänglich. Auch der Zwang zum Abonnement ist für viele eine Hürde. Kurz: Nichts funktioniert und viele müssen draußen bleiben.

Software läuft nicht

Bereits in den ersten Tagen nach der Einführung häuften sich die Beschwerden. Wie die Berliner Zeitung berichtete, erhielten zahlreiche Abonnenten ihr Ticket nicht rechtzeitig. Bei Kontrollen im Nahverkehr wurden dann Chipkarten nicht anerkannt und Kunden nicht im Computer gefunden. Das liege wohl an einer fehlerhaften Software des Herstellers highQ auf den Chips, die immerhin 15 Verkehrsverbünde in Deutschland nutzten, heißt es. Die Karten sollen nun offenbar ausgetauscht werden.

Inhaber solcher Fahrausweise müssen jetzt auf die Kulanz der Kontrolleure hoffen. Denn findet sie das System nicht, gelten sie eigentlich als Schwarzfahrer. Der Verkehrsverbund der Bus- und Bahnbetreiber rief bereits zur “Nachsicht” mit betroffenen Fahrgästen auf. Gleiches empfahl der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, der mit “Anlaufschwierigkeiten” gerechnet habe.

Das Ausmaß der Probleme scheint enorm zu sein. Kurz vor dem Start gaben elf Verkehrsbetriebe an, sie seien nicht in der Lage, Chipkarten und Barcodes elektronisch zu prüfen. Drei weitere Unternehmen berichteten, dass es einmal gelinge, ein anderes Mal nicht. Vier weitere waren sich noch nicht sicher und meinten: voraussichtlich ja. Nur acht Verbünde waren überzeugt, dass es keine Probleme geben werde.

Anfangs sollte das 49-Euro-Ticket ausschließlich als Digitalversion für Smartphones verkauft werden. Doch ein solches Gerät besitzt nicht jeder. Vielen Älteren fehlt das technische Wissen, Arme können sich ein solches Gerät oft nicht leisten, andere wollen vielleicht nicht jedem Kontrolleur ihr Smartphone vor die Nase halten. Für sie sollte die Chipkarte die Lösung sein. Doch schon beim Abschluss des Abos gab es dabei vielfach Probleme. Etliche Unternehmen boten lediglich die Handyversion an.

Personalmangel und kaputte Schienen

So miserabel der Start des neuen Tickets lief, so läuft dieser Tage auch vielerorts der Nahverkehr. Schon im vergangenen Jahr zahlte die Deutsche Bahn so viel wie nie, um Fahrgäste für ausgefallene oder massiv verspätete Züge zu entschädigen. Laut Tagesschau beläuft sich die Summe auf fast 100 Millionen Euro. Das Schienennetz ist marode, die Folge sind Baustellen, die allerorts den öffentlichen Verkehr lahmlegen.

Hinzu kommt wachsender Personalmangel bei der Bahn, der eine Folge des jahrelangen Sparkurses ist. Im ländlichen Sachsen-Anhalt zum Beispiel mangelt es nicht nur an intakter Infrastruktur, sondern auch an Lokführern und speziell ausgebildeten Fahrdienstleitern für die Stellwerke. Ob im Harzvorland oder der Börde, in Halle, Naumburg, Sangerhausen oder Magdeburg: Allerorts fallen deshalb die Züge aus. Der Schienenersatzverkehr benötigt oft die doppelte Zeit oder länger, um den Zielbahnhof zu erreichen.

Unbesetzte Stellwerke legen seit Monaten immer wieder den deutschen Zugverkehr lahm. In Frankfurt, Leipzig, Bayern und anderswo sind diese Schaltstellen chronisch unterbesetzt. Ein Abellio-Beschäftigter in Sachsen-Anhalt berichtete der Autorin, dass die Technik massiv veraltet sei. “In vielen Stellwerken hat sich seit über 30 Jahren nichts getan, die funktionieren noch mechanisch”, sagte er. Das Personal müsse für jedes Stellwerk speziell ausgebildet werden. Man könne Beschäftigte nicht einfach woanders hinschicken.

Lokführer und Fahrdienstleiter sind wohl nicht die einzige Personallücke, die sich bei der Deutschen Bahn seit Jahren auswächst. Auch an Technikern fehlt es, so der Abellio-Beschäftigte. Sein Unternehmen ist auf das Schienennetz der Bahn angewiesen. So seien zum Beispiel die Weichen mit Heizvorrichtungen ausgestattet worden, damit sie im Winter nicht einfrieren. “Aber wenn ein paar Zentimeter Schnee darauf liegen, reichen die nicht aus”, erklärte er. Dann taue der Schnee zwar erst mal auf, laufe aber als Wasser in die Weichen und friere dort wieder fest. “Und weil es nicht genug Techniker gibt, schon gar nicht vor Ort, bleiben im Winter ständig Züge liegen.” Besonders schlimm seien die Probleme in ländlichen Gebieten.

Nahverkehrsticket ohne Nahverkehr

Immerhin existiert in vielen ländlichen Kreisstädten noch ein spartanischer Bus-, manchmal sogar Bahnverkehr, zumindest in die nächstgelegene größere Stadt. Viele Dörfer oder sehr kleine Städte sind damit immer weniger oder gar nicht mehr zu erreichen. Die Ostdeutschen können davon ein Lied singen. Nach dem Ende der DDR wurden dort über 2.600 Kilometer Bahnstrecke stillgelegt. Viele Dörfer, die vor 1990 gut erreichbar waren, wurden von sämtlicher Infrastruktur nahezu vollständig abgehängt.

Wie das Münchner Ifo-Institut schreibt, ist der Westen davon aber inzwischen ähnlich betroffen. Dort geschah der Abbau des Schienennetzes nur etwas früher, vor allem in der Zeit des sogenannten “Wirtschaftswunders” nach dem Zweiten Weltkrieg.

Ein Nahverkehrsticket für Deutschland ohne flächendeckenden, brauchbaren Nahverkehr birgt schon eine große Portion Ironie. Wer irgendwo in der Provinz lebt, wo zwar die Mieten noch bezahlbar sind, aber nur zwei Mal am Tag der Bus verkehrt, braucht über so ein Abo gar nicht nachdenken.

Zu teuer für Arme und Kinderreiche

So scheint die Regierung mit dem neuen Angebot vor allem eine Klientel im Fokus zu haben: Jene Mittelschicht, die in den Speckgürteln der Großstädte mit guter Verkehrsanbindung lebt und täglich zur Arbeit pendelt. Wer wenig hat, für den ist so ein Abo kaum zu stemmen.

Eine Familie mit drei Kindern über sechs Jahren müsste immerhin fünf solcher Karten besitzen, um gemeinsam verreisen zu können, Kostenpunkt: 245 Euro pro Monat. Denn anders als bei anderen Fahrkarten dürfen Kinder zwischen sechs und 14 Jahren nicht auf diesen Tickets mitgenommen werden. Das müssen sich Betroffene angesichts der insgesamt gestiegenen Preise erst mal leisten können.

Laut Statistischem Bundesamt lebten im Jahr 2021 rund 13 Millionen Menschen in Deutschland unterhalb der Armutsgrenze. Dem Paritätischen Gesamtverband zufolge waren sogar mehr als 14 Millionen Einwohner betroffen. Das heißt, ihr monatliches Netto-Einkommen betrug im vorvergangenen Jahr nicht mehr als 1.250 Euro. Der Anteil der Armen dürfte sich mit der Inflation weiter erhöht haben.

Kein Wunder: Aufgrund der Rentenkürzungen in den letzten drei Jahrzehnten müssen laut einer Umfrage aktuell rund fünf Millionen Rentner mit weniger als 1.000 Euro über den Monat kommen. Um auf 1.000 Euro Rente zu kommen, müssten Lohnabhängige laut ZDF heute 40 Jahre lang durchgehend ein Bruttogehalt von 2.844 Euro erhalten. Für eine Altersrente von 1.200 Euro monatlich wären sogar 3.413 Euro brutto ohne Unterbrechung nötig. Insbesondere Frauen erreichen diesen Lohn trotz Vollzeitarbeit häufig nicht. Jeder fünfte Beschäftigte arbeitete 2021 für einen weit geringeren Lohn.

Sozialverbände hatten bereits während der Beratungen zu dem Ticket über dessen geplanten Preis geklagt. Das Angebot sei für Millionen von Menschen nicht erschwinglich. Es sei sogar teurer als der im Regelsatz des Bürgergeldes und der Sozialhilfe enthaltene Gesamtbetrag für Mobilität. Das Ticket leiste zwar einen Beitrag zur Mobilitätswende, nicht aber zur sozialen Teilhabe für alle, erklärten die Verbände. Doch statt einer Lösung für Arme gibt es schon einen Plan, den Monatspreis für die Karte demnächst zu erhöhen.

Kein Zugang für viele Benachteiligte

Der VdK kritisierte kurz vor dem Start auch den erschwerten Zugang für ältere und arme Menschen ohne Smartphone oder Internet. Bei dem Verband hätten sich schon viele verärgerte Menschen gemeldet, weil ihre Verkehrsverbünde das Ticket nur digital anböten, nicht aber, wie von der Bundesregierung zugesichert, als Chipkarte oder besser noch als Papierausdruck.

Auch viele ältere Menschen sowie Behinderte, Erwerbs- und Obdachlose besäßen kein Internet oder Smartphone, entweder aus finanziellen Gründen, wegen besonderer Lebensumstände oder fehlender technischer Kenntnisse. Sie fühlten sich von der Nutzung ausgeschlossen und zunehmend an den Rand gedrängt, so der VdK. Ein Smartphone werde in immer mehr Lebensbereichen als selbstverständlich vorausgesetzt, sei es aber nicht für jeden, monierte der Verband. Die Bundesregierung habe statt einer pragmatischen Lösung, die alle mitnimmt, einen Flickenteppich geschaffen.

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