20. April 2024

Weiterleitung von “Münchner Sicherheitskonferenz verändern”

München, 24.02.2023

Bei der MSC 2023: Beobachtungen und Kommentare von Thomas Mohr

Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens,

von Freitag, 17.02. bis Sonntag 19.02.2023 nahm ich als „Beobachter“ an der 59. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) teil. Da Ralf Becker (Kampagne „Sicherheit neu denken“) erkrankt war, musste ich kurzfristig einspringen. Es war meine 7. MSC-Beobachtung seit 2009; zuletzt war ich 2019 dort.

Wie vorab zu befürchten, stand die Konferenz in diesem Jahr ganz im Zeichen der Kriegslogik, jedenfalls was die allergrößte Zahl an Beiträgen und Inszenierungen im Hauptprogramm betraf. Dies begann mit den Eröffnungsworten des neuen Konferenzleiters Heusgen und dem daran anschließenden eindrücklichen Film über wesentliche Stationen des letzten Jahres, begleitet von einem stimmungsvollen Klavierstück von Franz Schubert (Film im obigen Link ab Min. 13:10). Dazu gehörte auch der vom ehemaligen Konferenzleiter Ischinger bei seiner Begrüßung des höchstrangingen chinesischen Außenpolitikers am Samstagvormittag geschickt platzierte Hinweis, die chinesische Delegation möge doch die Ausstellung der MSC über russische Kriegsverbrechen im Ukrainekrieg besuchen. Und dies endete nicht mit der Diskussion zu später Stunde am Samstagabend mit vier russischen Oppositionellen, die alle inzwischen nicht mehr selbst in Russland aktiv sein können. Ein und dieselbe Erzählung zog sich durch praktisch alle Beiträge der Politiker*innen zum Ukrainekrieg: Putin ist böse, Putin ist der Täter, Putins Russland ist alleine schuld am Krieg, Putin muss diesen Krieg verlieren, er muss bestraft und die „regelbasierte internationale Ordnung“ muss verteidigt werden.

Ja, in Kriegszeiten werden die Reihen fest geschlossen, Zweifel an der eigenen Position darf es nicht geben. – Wer Frieden will, darf allerdings die Selbsterforschung und Selbstkritik nicht vernachlässigen. Auch die – mit mehr oder weniger guten Gründen geführten – Kriege des Westens gegen Jugoslawien (Kosovo), Irak und Libyen waren nicht von der UN-Charta gedeckt, sie waren ebenfalls „völkerrechtswidrig“. In seiner Siegermentalität nach dem Ende des Kalten Kriegs hat der Westen, haben die USA damit Entwicklungen eingeleitet, die heute in Putins Argumentationen und Taten sehr bittere Früchte tragen.

Dass der Ukrainekrieg durch immer weitere westliche Waffenlieferungen beendet werden kann, wird auch von vielen Ländern des „globalen Südens“ bezweifelt. Einer der Lichtblicke der diesjährigen MSC war das Podium am Samstagmorgen mit hochrangigen Vertreter*innen aus Brasilien, Kolumbien, Namibia, Philippinen. Moderator Heusgen bezeichnete es als das für ihn wichtigste Podium. Der brasilianische Außenminister Mauro Vieira wiederholte dabei, was er am Vortag bereits in einer Veranstaltung in kleinerer Runde gesagt hatte: Präsident Lula wolle sich für Frieden einsetzen. Allerdings wurde deutlich, dass das momentan leider nur eine Idee ist, kein aktiv verfolgtes Konzept. Klar und engagiert betonte Kolumbiens Vizepräsidentin Francia Márquez, dass in ihrem Land ein fünfzigjähriger Bürgerkrieg durch Gespräche beendet wird. Sie sah darin ein Vorbild für die gegenwärtige Lage: „Sicherheit lässt sich nicht mit Waffen lösen”. Heusgen erklärte in seinem Schlusswort zur MSC 2023, in Zukunft die Beteiligung der Länder aus Afrika, Asien und Lateinamerika weiter ausbauen zu wollen. Es sei wichtig, diesen Stimmen zuzuhören. Man darf gespannt sein, inwieweit sich das dann auf deren eher pazifistische Gedanken beziehen wird.

Auch der Auftritt des höchstrangigen Außenpolitikers Chinas Wang Yi bediente natürlich nicht das westliche Narrativ. Yi präsentierte sich als Mann der Stärke und des Friedens: Er kündigte eine „chinesische Position zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise“ an. Der Inhalt dieses chinesischen Friedensplans blieb allerdings unbekannt. Wie später aus den Medien zu erfahren war, kam es am Rande der MSC zumindest doch noch zu einem Treffen zwischen Wang Yi und US-Außenminister Blinken. Mein Eindruck: China und die Länder des globalen Südens zeigten bei dieser MSC deutlich die Grenzen westlicher Allmacht auf.

Wer den im obigen Text angegebenen Links folgt, wird feststellen, dass mehr oder weniger das ganze Hauptprogramm in Videoaufzeichnungen nachverfolgt werden kann. Welchen Mehrwert bringt da eine Vor-Ort-Beobachtung? Und: Was ist die echte MSC? Mir scheint die MSC als Plattform mit sehr großer Auswirkung der wichtigste Aspekt der MSC zu sein. Hier wird jedes Jahr der Bevölkerung erneut die Botschaft der Unverzichtbarkeit militärischer Gewalt verkündet. Gerade die diesjährige Konferenz war sehr stark als Kriegspropaganda-Konferenz inszeniert. Eine zweite Ebene der MSC sind Vernetzung und Hinterzimmer. In diese Hinterzimmer mit ihren Rüstungsgeschäften oder einer erstmaligen Begegnung der Präsidenten von Armenien und Aserbaidschan hatten natürlich auch Anja Ufermann und ich als Beboachter*innen unseres Vereins keinen Einblick, so dass wir uns darüber kein fundiertes Urteil bilden konnten. Die Möglichkeit der Vernetzung hingegen konnten wir in gewissem Umfang selbst nutzen.

Dazu diente auch eine dritte Ebene der MSC: die teilweise durchaus attraktiven Seitenveranstaltungen im Bayrischen Hof, veranstaltet von verschiedenen Firmen, Stiftungen, Fachorganisationen usw., zugänglich für Teilnehmende und Beobachtende der MSC nur nach eigener vorheriger Anmeldung über E-Mail oder die digitale Konferenzplattform. Anja Ufermann hat sich vor allem auf diese Ebene der MSC konzentriert und wird eigens darüber berichten. Ich persönlich fand gleich am Freitagmorgen eine Veranstaltung „Peacing it together: Religion, Diplomacy & Conflicts“, veranstaltet vom Malteser-Ritterorden, recht anregend. Hier wurde deutlich, wie Religionen Konflikte verschärfen, aber vor allem auch zur Konfliktvermittlung beitragen können. Besonders gefreut hat mich, dass dabei auch Azza Karam, Generalsekretärin der Organisation Religions for Peace am Podium mitwirken konnte. Auffallend fand ich, dass das Entwicklungshilfeministerium einen eigenen Veranstaltungsraum gefördert hatte. Diesen aufwändig wirkenden Um- bzw. Überbau der kleinen Komödie in eine Townhall konnte ich z.B. bei der Veranstaltung „New Dawn in the Horn: Inching Toward Peace in the Region?“ erleben. In einem kleinen Kreis von ca. 15 Teilnehmenden fand die Roundtable-Veranstaltung „Malicious Militias or Leading by Example? What Rules and Norms Apply to Armed Actors in Today’s Warfare” statt, organisiert von den beiden NGOs Geneva Call und International Code of Conduct Association. Hier trafen sich Fachleute mit besonderem thematischem Interesse. Allerdings kann ich leider noch nicht sehen, wie die konkrete praktische Friedensarbeit, die in solchen Nischenveranstaltungen vorgestellt wird, Einfluss auf die Kriegspropaganda auf den Hauptbühnen nehmen könnte.

Zumal mir auf der Hauptbühne dieses Jahr auch – anders als in früheren Jahren – die echten Organisationen gemeinsamer Sicherheit, nämlich UNO und OSZE, gefehlt haben. Auch wenn bei der Vielzahl der Podien sicher UN-Fachorganisationen vertreten waren: vom UN-Generalsekretär war diesmal nichts zu sehen oder zu hören. Im Hinblick auf das immer wieder betonte Eintreten für eine „regelbasierte internationale Ordnung“ empfinde ich dies als großes Manko. Und wehmütig entdeckte ich in der kleinen, eigens für die MSC eingerichteten Tagungsbuchhandlung das letzte Buch von M. Gorbatschow „Was jetzt auf dem Spiel steht. Mein Aufruf für Frieden und Freiheit“ (2019). Hatten wir von MSKv doch im September 2016 – im Nachgang zu unserem Gespräch mit dem damaligen Konferenzleiter Ischinger – den Elder Statesman Gorbatschow als Redner für die nächste MSC vorgeschlagen. „Der Neuanfang im Ost-West-Verhältnis, den seine Politik ermöglicht hat, wurde vom Westen leider nicht ausdauernd aufgegriffen. Heute wäre es wünschenswert, an die damaligen Chancen anknüpfen zu können. Nach seiner Zeit als Staatsmann hat Gorbatschow sich mit seinem Engagement beim Internationalen Grünen Kreuz und seinem Einsatz für die Erd-Charta weiterhin für Themen globaler Verantwortung eingesetzt.“, hatte ich damals an Ischinger geschrieben.

Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass ich meine spontanen Eindrücke von der MSC vor Ort auch gleich über meinen privaten Twitter-Account verbreitet habe, wo sie nachgelesen werden können.

Soweit mein kritischer Bericht von der MSC 2023. Der Bericht von Anja Ufermann folgt in Kürze.

Mit freundlichem Gruß

Thomas Mohr
Vorsitzender der Projektgruppe “Münchner Sicherheitskonferenz verändern” e.V.
www.mskveraendern.de

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